Geschichte: Kirche und Pfarrer in Böddiger
Landgraf Philipp der Großmütige hatte im Oktober 1526 auf der Homberger Synode die Reformation für sein Land eingeführt. Damit wurde auch Böddiger evangelisch.
Die evangelische Kirche von Böddiger steht mitten im Dorf auf einer leichten Anhöhe. Das Gebäude wurde 1799 fertiggestellt. Diese Jahreszahl ist auf der Wetterfahne des Turmes sowie auf einem Sandstein am Fuße des Mauerweges an der Südostecke abzulesen. Im Jahre 1999 wurde mit der 925Jahrfeier des Ortes auch der 200. Geburtstag der Kirche gefeiert. Zum Geburtstag bekam sie einen Namen, nämlich „Friedenskirche“, und heißt seither so. Dass es eine Vorgängerkirche in Böddiger gab, ist sicher. Warum die Vorgängerkirche an gleicher Stelle durch den Neubau von 1799 ersetzt wurde, ist unbekannt. Ein Brandschaden, aber auch Baufälligkeit könnten der Grund gewesen sein. Aus der Vorgängerkirche stammen ein über dem Portal der heutigen Kirche eingemauerter sogenannter Schlussstein mit dem Symbol des Gotteslammes sowie der achteckige gotische Taufstein, der lange als Unterbau des Altars in der jetzigen Kirche diente, nach deren Innenrenovierung 1980/81 mit dem Aufbau eines neuen Altars aber wieder seiner Bestimmung zugeführt wurde.
Schon in vorreformatorischer Zeit war Böddiger ein selbständiges Pfarrdorf, hatte also einen eigenen Pfarrer. Die Pfarrer nach der Reformation sind namentlich alle bekannt. Sie werden mit Namen und Amtszeiten aufgezählt in der Dorfchronik von 1975. Der seit 1870 amtierende Julius Wetzell wurde 1874 wegen Renitenz entlassen. Die Renitenz war eine Protestbewegung gegen die Bevormundung der evangelischen Kirche durch die preußische Politik, die eine Vereinheitlichung der innerevangelischen Konfessionen (Lutheraner, Reformierte und Unierte) anstrebte, aber auch eine Neuorganisation der Kirchenverwaltung durchsetzen wollte. Unterschwellig war die Renitenz auch politisch motiviert. Man konnte und wollte sich nicht mit der Annektion Kurhessens durch Preußen abfinden, war also so etwas wie eine Art althessischer Opposition. Viele renitente Pfarrer wurden damals abgesetzt. Ihre Gläubigen blieben ihnen teilweise treu. Es entstanden vielerorts renitente Gemeinden, die sich eigene Kirchen bauten. Beispiele aus der engeren Heimat sind Melsungen, Homberg und Berge bei Homberg. Heute bezeichnet sich die ehemalige Renitente Kirche als Selbständig Evangelisch Lutherische Kirche (SELK). Ob es auch in Böddiger Gefolgsleute des damals abgesetzten Pfarrers gab, ist nicht bekannt.
1625 war Niedervorschütz als Filialgemeinde zu Böddiger gekommen. Letzter Pfarrer in Böddiger war Heinrich Minhöfer von 1962 bis 1966. Nach seinem leider allzufrühen Ableben wurde die Pfarrstelle in Böddiger nicht wieder besetzt. Nach längerer Vertretungszeit durch die Pfarrer aus Felsberg wurde das alte Kirchspiel Böddiger-Niedervorschütz 1974 schließlich aufgelöst. Böddiger kam zu Felsberg, Niedervorschütz zu Niedermöllrich. Felsberg und Böddiger bilden inzwischen eine einheitliche Evangelische Kirchengemeinde. Seit dem 01. Oktober 1974 wirkte hier bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Frühsommer 2011 Pfarrer Friedrich Werner. Sein Nachfolger ist inzwischen Pfarrer Ernst Friedrich Schluckebier.
Die Kirche in Böddiger mit ihrem ortsbildprägenden Charakter steht noch, ist aber, nach außen hin kaum wahrnehmbar, stark baufällig, was insbesondere für den Turm gilt. Deshalb müssen die dort aufgehängten Glocken schweigen. Auf Anordnung des Kirchenbauamtes dürfen sie vorläufig nicht mehr geläutet werden, keiner weiß, wie lange noch. Zur Zeit fehlt das Geld für die aufwändige und kostenträchtige Bausanierung. Die beiden großen Glocken stammen übrigens aus dem Jahre 1950. Sie wurden damals als Ersatz angeschafft für die alten Glocken, die im Zweiten Weltkrieg 1943 abgeliefert werden mussten und nach Kriegsende nicht wieder aufgefunden werden konnten, also vermutlich eingeschmolzen worden sind. Die ältere der beiden abgelieferten Glocken war im Jahre 1496 gegossen worden, stammte demnach aus vorreformatorischer Zeit. Es ist anzunehmen, dass sie schon in der Vorgängerkirche der heutigen Friedenskirche hing.
Das alte Pfarrhaus befand sich im heutigen Haus Minhöfer/Puntschuh an der Emstalstraße schräg gegenüber der Kirche. Das Anwesen war bis ins 16. Jahrhundert ein landgräflicher Hof, der nach der Reformation dem ersten evangelischen Pfarrer als Behausung zugewiesen wurde. Den Hofcharakter behielt das Grundstück bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst dann wurden die große Pfarrscheune und die ehemaligen Stallungen abgerissen.
Interessant und beachtenswert ist vielleicht noch, dass es in Böddiger bis 1966 nicht nur eigene Pfarrer gab, sondern dass in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auch reichlich Pfarrernachwuchs aus dem Dorf hervorging, nämlich insgesamt sechs Pfarrer. Es waren die Söhne Adolf, Alfred und Franz Münch des hiesigen Gemeindepfarrers Sigmar Münch (Amtszeit 1886 bis 1914) sowie die Söhne Erich, Eduard und Karl Freudenstein des Lehrers Karl Freudenstein (Dienstzeit 1902 bis 1932). Adolf Münch kam im Alter von 11 Jahren mit seinen Eltern nach Böddiger, wuchs also von diesem Alter an in Böddiger auf. Die anderen fünf späteren Pfarrer sind alle in Böddiger geboren und hier aufgewachsen. Der Lehrersohn Erich Freudenstein war Jahrgang 1902. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ihm das Amt des Landespfarrers der Inneren Mission (später Diakonisches Werk) übertragen. Er ist der Verfasser der auf Böddiger Platt niedergeschriebenen Posse „In´Backhüse“ (Im Backhaus), die einen interessanten Einblick in das damalige Dorfleben gibt. Entstanden ist das Werk in den 1920er Jahren in Berlin, wo sich Erich Freudenstein damals offenbar als Theologiestudent aufhielt.
Unter Ergänzung bestehender Vorlagen neu bearbeitet von Friedel und Kurt Regenbogen 15. Januar 2012